20. und 27.4.2016 - Blau 2: Pinselspuren (20.4.) - Komposition (27.4.)

Kurzfassung:
An diesem Morgen widmeten wir uns ausschliesslich unserem wichtigsten Werkzeug, dem Pinsel.
Aus der großen Menge unterschiedlicher Pinselformen habe ich für diese Übung und auch für den Rest der Kurstage eine einzige Pinselform gewählt, die meines Erachtens alle wichtigen Formen der Pinselspur ermöglicht:
Der Flachpinsel oder Gussow-Pinsel, den es in verschiedenen Breiten gibt. Wir benutzen zur Zeit den 16er , der eine 1,6 cm breite Spur erzeugt.
Wir spielten in verschiedenen Übungen alle nur erreichbaren und denkbaren Formen von Spuren durch, wobei wir feststellten, dass es folgende Elemente sind, die den Unterschied machen:

- Die Menge der aufgenommenen Farbe.
Von vollem Pinsel bis zu fast leerem Pinsel, was ich als sog. Drybrush-Technik vorstellte (engl. drybrush = Trockener Pinsel). Ein berühmter Vertreter dieser Technik ist der amerikanische Maler Andrew Wyeth:


- Die Geschwindigkeit des Auftrags.
Von langsam und sehr überlegt bis zur schnell hingewischten Spur.
Der Maler van Gogh setzte seine extrem belebte und wuchtige Pinselspur in großer Geschwindigkeit, was seinen Bildern eine geradezu sprudelnde/strudelnde Struktur und Dynamik gibt.

- Die Kraft des Auftrags.
Von zart und kaum sichtbar "hingehaucht" bis hin zur vollen Wucht eines heftigen Pinselhiebes.
Die Pinselarbeit der Impressionisten (Monet. Renoir. Cezanne) gibt einige Beispiele.

- Die Dauer der Ausführung.
Es gibt die lange, fliessend gesetzte Spur und auf der anderen Seite die kurze, abgehackt gesetzte Pinselspur. Wie in der Musik erzeugen diese Unterschiede ein bestimmtes Gefühl von fliessend entspannter Wirkung (legato) oder heftig und hektisch aufgeregter Spur (staccato).
Auch hier habe ich insbesondere van Gogh noch einmal zur Illustration herangezogen.
Wir konnten demnach dessen Pinselarbeit als eine schnell, heftig und kräftig gesetzte aufgeregte Staccato-Technik identifizieren, die eine starke und mitreissende Wirkung ausübt.

Auf vielen einzelnen Blättern übten wir alle möglichen Formen des Auftrags.

Als Abschlussarbeit gilt es, das gewählte Format mit einer mal verdichteten, mal lockeren Struktur verschiedener Pinselspuren zu füllen.

Folien:

















27.4.2016: Mischen. Kontrast. Komposition











Ergebnisse 20.4.2016:






















Ergebnisse 27.4. , Mischen und Übergänge:




















Ausführliche Texte:

20.4.16 - Pinselspur

Erste Erfahrung mit dem wichtigsten Werkzeug der Malerei:  Der Pinsel

Eine unüberschaubar grosse Menge an unterschiedlichen Werkzeugen für Zwecke, die Sie vermutlich noch nicht so genau kennen, sind auf dem Markt verfügbar. Der Händler freut sich immer sehr, wenn Sie trotzdem möglichst viel und teuer kaufen, auch wenn Sie damit nicht immer die Resultate erzielen, die Sie wollten. Hier hilft "Viel hilft viel" nicht wirklich weiter, glauben Sie mir, ich weiss, wovon ich spreche..;-)
Im Verlauf des Kurses werden Sie deshalb die wichtigsten Pinseltypen und deren Verwendung kennenlernen.

Zu Beginn lernen Sie einen kurzborstigen Flach- oder Gussowpinsel kennen - wobei letzteres kaum jemand sagt, geschweige denn weiss, warum diese Sorte Pinsel so heisst.

Diese, wie ich finde, sehr praktische Form des Flachpinsels, die am Anfang sehr gut beherrsch- und einsetzbar ist, geht auf den deutschen realistischen Maler Karl Gussow (1843-1907) zurück, der in Berlin und an der Karlsruher Akademie lehrte (bedeutendster Schüler Max Klinger) und sich diese Form des kurz gebundenen Flachpinsels eigens anfertigen liess.



Gemälde von Gussow, wobei insbesondere im Blattwerk der Buschrosen m.E. deutlich die Pinselarbeit mit einem Flachpinsel sichtbar wird (mit einem einzigen kurzen Zug gesetzt).


Kurze Demo und Einblick in die Feinstruktur der Malerei, oder wie Bilder der Malerei wirklich aussehen, wenn man näher tritt und die Arbeit des Malers betrachtet.

Ich habe Ihnen einige Beispiele von RembrandtCourbetMonetLiebermann , de Kooning bis zur Gegenwart vor Augen geführt, die Sie davon überzeugen sollen, dass man die Spuren der Malerei ruhig sehen darf, ja m.E. sehen muss - oder anders gesagt, eine makellos glatte Malereioberfläche, "in der man keinen Pinselstrich sieht" ist absolut kein besonderer Qualitätsausweis:










2) Die Malspur:
(Den folgenden Text kennen meine Zeichenschüler schon, in Abwandlung gilt alles Folgende generell für die Zeichen- als auch die Malwerkzeuge.)

Im Zentrum der ersten Stunde und der nächsten Abende dieser ersten Einheit steht die SPUR an sich, die SPUR als persönlicher Ausdruck, als quasi "seismografisches", motorisches, aber auch emotionales  Phänomen.

Die SPUR an sich entsteht aus der Bewegung (man kann auch sagen aus der Emotion, was auch der Wortsinn sagt: ex movere = hinaus gehen, aus sich gehen...).

Die gerichtete SPUR bildet folglich immer eine innere und äußere Handlung und Bewegung ab, ist dynamisch, ein aus der Ruhe gebrachter Punkt mit Ziel und in gewisser Spannung.

ABER WICHTIG: Vorerst malen Sie  unbedingt (!) ohne etwas Dingliches, fest Umrissenes oder Symbolisches abbilden zu wollen!
Also vorerst: Keine Herzen, Spiralen, Tiere, Köpfe, Münder, Augen, Hände, Füße etc. - keine Bange, das kommt noch, später.
Sobald Sie irgendetwas abbilden, sind Sie nicht mehr mit der Spur an sich, sondern mit dem Gegenstand oder Symbol befasst, was einen derart starken Sog entfaltet, daß Ihnen der Blick auf das MACHEN schwindet, während sich das damit GEMACHTE immer stärker in den Vordergrund schiebt. Der Zwang zur Be-Deutung eines Zeichens oder einer Form ist eminent - und steht dem Phänomen der Malerei gern entgegen. Das wollen wir erst einmal nicht!

Sie bilden zunächst nur die von Ihnen selbst gemachte, hergestellte, hingezitterte oder hingeschmissene SPUR ab, wie Fußspuren im Sand, die nichts anderes bedeuten, als das was sie sind: SPUREN einer Bewegung von A nach B.
Dass Sie sich trotzdem immer etwas dabei denken, dass ihre Spur immer etwas anspielt, an etwas erinnert, ist unumgänglich - und das ist das eigentliche Geheimnis jeder Spur. Insbesondere Ihrer persönlichen Spur, die Sie zunehmend erkennen und entwickeln, allmählich mit Kenntnissen und Gefühlen aufladen werden.
Sie ist an sich und sie ist immer auch noch etwas anderes...

Sie sehen und beobachten, welche Extreme eine SPUR darstellen kann: von der selbstbewusstten, klaren und zielenden Geraden bis zur nervösen und fleckigen, unsicheren und suchenden Tatterei. Sie erleben, wie die Spur mit Ihren Stimmungen und Entscheidungen, Ihrem Atem, den Freuden und Ängsten, Lockerungen und Verkrampfungen, Lust und Frust  und (mitunter Hauruck...)-Lösungen oder Ihrer Freiheit, Feinheit, ihrer Vorsicht oder Entschiedenheit oder Unsicherheit oder Mut zusammenhängt.
Gefühl, Gedanke und Handlung ineindergreifend.
Auch wenn Sie später das von ihrem Innern fernliegendste Abbild eines Objektes schaffen - es wird immer IHRE SPUR sein, die die Malerei schafft. Sie entgehen Ihr selten - eigentlich fast nie - es sei denn, man möchte zur Maschine werden, perfekt und kühl beherrscht, nichts zeigend...und damit eher wie ein Fotoapparat, dem alles gleich gültig ist - aber das ist dann schon nicht mehr Malerei...


Zum Malen gehört eine Haltung:
Es gibt keine falsche oder richtige Haltung - aber es gibt eine zweckdienliche innere und äussere Haltung. Diese werden wir je nach Aufgabe und Gegenstand miteinander erarbeiten.
Ich habe Ihnen zu Beginn eine der üblichen Schreibstifthaltung entgegengesetzte Pinselhaltung demonstriert und zur Nachahmung empfohlen, nicht befohlen - aber sie könnte ihnen trotzdem nützen...:




Übungen:

Im nächsten Schritt ging es darum, jetzt genauer hinzuschauen und zu beobachten, wie ein Pinsel unterschiedlichen Druck, Nachlassen, Aufdrücken, Absetzen, Aufsetzen, Übermalen etc. umsetzt. 
Schauen Sie, auf welche Ideen Sie kommen, ein zuvor mit Bleistift zart vorgezeichnetes Feld von ca 20x20 oder 20x30 cm mit Strukturen, Pinselspuren, Flecken, Strichen zu füllen.
Es darf passieren, dass Sie die möglichst nicht stereotyp gesetzten Spurenverdichtungen an etwas erinnern, von sich aus: Felder, Wiesen, Himmel, Wasseroberflächen, Wälder, Gestrüpp usw.

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